In unserer Schreibgruppe haben wir eine Tradition: Einer von uns Vieren schlägt einen Schreibimpuls vor und dann schreiben wir uns für 15 Minuten warm. Es ist immer wieder spannend zu sehen, welche unterschiedlichen Geschichten dabei heraus purzeln.
Ein Beispiel? Als Schreibimpuls haben wir beim letzten Treffen zufällig ein Bild aus dem Bildimpuls gezogen. Vier Elvis Presleys, die bei der Elvis-Europameisterschaft nebeneinander die Straße entlang gehen. Du hast noch kein Bild im Kopf? Dann lies weiter!
Martina
Sarah: Boah, da sind sie wieder!
Ellen: Wer?
Sarah: Na, die vier Elvisse dort drüben. Die laufen den ganzen Tag schon durch die Stadt. Es ist doch nicht Karneval! Die fühlen sich hier wie die Kings.
Ellen: Das ist ja cool! Und Elvis war ja auch der King! Welchen findest du am Besten? Den im Glitzershirt oder den in den Army-Klamotten? Der im Hawaii-Hemd ist auch cool, aber den im schicken Jackett würde ich auch nicht von der Bettkante stoßen.
Die Kings: Hey Girls, you’re looking good!
Sarah: Boah, und dann gleich vier davon! Nee, das ist mir zu viel!
Ellen: Mir nicht. Hey Boys! Habt ihr Lust, was zu singen? Vielleicht A thing called Love? (klimpert mit den Wimpern)
Sarah: Also, ich fänds gut, wenn sie A little less conversation machen würden.
Ein King: Yeah, Girl, well, we have a guitar and we have a little time. (sieht Sarah an, kneift ein Auge zu und guckt dann seine Kumpels an) Am I ready?
Die anderen Kings: Yeah, we’re ready! (Sie stellen sich auf)
Sarah: Das ist keine American Trilogy, sondern eine American Quadrologie…
Anyone could fall in love with you!, jubelt Ellen, als die Quadrologie Blue Moon anstimmt.
Sarah verdreht die Augen: Anyplace is Paradise. Jeder Place ist besser als der hier. Ich wäre lieber Lonesome tonight!
Ellen: Was hast du denn? Es gibt niemanden, der Elvis nicht gut findet!
Sarah: Doch, ich. Vor allem, wenn sie zu viert sind.
Die Kings stimmen jetzt Jailhouse Rock an und rocken so richtig ab.
Ellen jubelt und singt laut mit.
Sarah genervt: Ins Jailhouse gehören die auch.
Ellen: Jetzt nöl hier mal nicht so rum. Wann erlebt man schon einmal so etwas cooles? Wo wollt ihr hin, Jungs? Was macht ihr hier?
Die Kings: We’ll sing for a boy in the Krankenhaus.
Ellen: Really? Oh…wie lieb! Ist er krank? (erschrocken) Oh nein, er hat doch nicht Krebs?
Die Kings: No, no. (sie gehen weiter)
Ein King (im Weggehen): He is the fifth member of our group.
Ellen (ruft ihm hinterher): Der fünfte Elvis? In welchem Outfit? Was hat er an?
Der King (dreht sich noch einmal um): A Krankenhaus-Shirt: white and hinten offen!
Frank
Auf diesen Moment habe ich drei Wochen hingehungert. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Endlich passe ich wieder in das eierschalenfarbene Sacko mit den Schulterpolstern. Und auch das schwarze Hemd mit dem breiten Kragen passt wieder. Ich kann das Sacko sogar schließen, ohne dass mir die Luft wegbleibt oder der Knopf abspringt.
Ich streiche mit den Fingern meiner rechten Hand vorsichtig über die Haartolle und spüre die drei Lagen Haarspray, die meine Haare in der ungewohnten Position festhalten.
„Noch drei Minuten.“ Die Stimme kommt unsichtbar aus der Ecke der Bühne. Wir stehen hinter dem Vorhang. Vier Elvis Presleys im Jahr 2022. Nach zwei Jahren Corona-Stillstand findet es erstmalig wieder statt: Das European Elvis Festival in Bad Nauheim.
Es kann nur einen geben, wiederhole ich im Kopf mein Mantra. Ich strecke die Brust raus und atme tief durch. Das Zitat aus dem Film Highlander hat sich mir fest eingebrannt. Und es tut seine Wirkung: Ich betrachte zuversichtlich meine Konkurrenten, die neben mir stehen.
Ein Elvis im bunten Hawaihemd und mit dickem Nietengürtel, sein Gesicht versteckt hinter einer Sonnenbrille. Ich will nicht verächtlich klingen, doch die besten Jahre hat dieser Elvis bereits hinter sich. Genau so wie der ganz in schwarz gekleidete Elvis mit offenem Glitzerhemd, ein goldenes Kreuz baumelt vor seiner Brust – auch er ist sichtlich aus der Form geraten. Der einzige Elvis, der mir ernsthaft Konkurrenz machen könnte, ist ein junger Bengel, der unverschämt gut aussieht und mit einem Lächeln und in GI-Uniform eine Gitarre mit sich herumträgt.
Es ist das Viertelfinale. Nur einer kommt weiter. Es kann nur einen geben.
Der Vorhang öffnet sich. Die Kulisse ist perfekt. Ich fühle mich ein halbes Jahrhundert in die Vergangenheit verrückt. Das Gekreische geht los. Mädchen in Petticoats springen von ihren Stühlen und schreien schrill, laut und absolut unverständlich, was das Zeug hält.
In diesem Moment – die Gänsehaut breitet sich auf meinem ganzen Körper aus – vergesse ich, dass ich Dietmar aus Dortmund bin, der seit zwei Jahren arbeitslos ist. Ich bin jetzt Elvis, der King of Rock’n Roll, der eine ganze Generation mit seiner Musik und Stimme geprägt hat. Ich hebe meine Arme über den Kopf, winke mit beiden Händen und werfe Kusshände in die Menge der kreischenden Fans.
Neben mir machen es die anderen Elvise nach. Aus den Augenwinkeln sehe ich sie und plötzlich wundere ich mich. Wir stehen hier im Jahr 2022, als Sinnbilder einer vergangenen Zeit, in der ich gerade frisch geboren war, einem musikalischen Gott nacheifernd, der doch auch nur Mensch gewesen ist. Der Höhen und Tiefen erlebt hat. Glück, Unglück und schlechte Entscheidungen bestimmten sein Leben.
Warum kommen mir diese Gedanken? Doch ich kann nichts dagegen tun. Plötzlich fühle ich mich scheisse. Meine Euphorie verebbt schlagartig. Ich denke an Katja, die ich immer noch liebe, an meine Wohnung, die den Namen nicht verdient und an den Job, den ich nicht habe.
Ich lasse meine Arme fallen. Es ist Zeit, etwas zu tun.
Der junge GI-Elvis gewinnt das Viertelfinale. Ich gratuliere ihm.
Und dann fahre ich nach Hause, um mein Leben in Ordnung zu bringen. Auf meinen Kopfhörern begleitet mich Elvis.
HannaH: Und meinetwegen Vegas
Sie hatte sich beim Ersten nicht gewundert. Die Tür der Kneipe öffnete sich und Elvis kam herein. In voller Montur, schwarze Lederhose, unfassbar breiter nietenbeschlagener Gürtel, ein großes Kreuz an der Kette unter einer glitzerbeglänzten Jacke. Die Tolle klebte an seinem Kopf wie frisch geformt. Er setzte sich an einen Tisch in der Ecke und bestellte mit einer Stimme, die in einer Leichtigkeit durch den Raum klang, dass sie neidisch war, volltönend, dunkel, schmalzig. Sie sah über ihrem dritten Getränk, dass Dieter und Malu sich glücklich zulächelten, bevor Malu das Frischgezapfte zu Elvis brachte.
Was für ein Abend, dachte sie. Erst Michi, der Schlaumeier, der von einer Hochzeit in Vegas schwafelt, sodass ich spontan das Haus verlassen musste, um vor solchem Blödsinn zu fliehen. Denn erstens, wer heiratet noch? Und zweitens dann auch noch in VEGAS? Und dann kommt auch noch Elvis rein und trinkt Bier in der „runden Ecke“, mitten in Kiel. Was ist hier eigentlich los?
Als ihr nächster Sex-on-the-beach mit einem Zwinkern von Dieter vom Tresen angenommen und durch Malus nagelglanzlackierte Hände geliefert vor ihr stand, da öffnete sich die Tür wieder und kurz klangen Martinshorn und Regen in die „runde Ecke“ und dann zwei weitere Elvisse. Sie überlegte nur kurz, ja, „Elvisse“ war bestimmt der Plural. Wird bestimmt wie Penis flektiert, kicherte sie vor sich hin, während die Elvisse am Nebentisch einander begrüßten. Der eine nahm seine Sonnenbrille ab, klar, war ja auch zu düster hier, nachts um halb elf.
Sie zog am Strohhalm den Sonnenschein in ihr verschattetes Hirn und als dann noch ein Elvis durch die Tür trat, da war schon alles egal, da hätte auch der Papst singen können. Sie bestellte mehr Sex und lehnte sich mit schwummrig-schönem Blick zurück: Aha aha, ein Elvis-Stammtisch, hihi, das ist ja…
Und dann aber dann sang nicht der Papst sondern all die Elvisse, sie sangen zusammen und zwar mehrstimmig:
Wise men say
Only fools rush in
But I can’t help falling in love with you
Und da hatte Dieter, der Wirt, seine Malu schon auf den Tresen gehoben und sich vor sie gekniet und ein Schächtelchen aus seiner Weste genommen und bei
Take my hand
Take my whole life too
weinte sie schließlich und schickte Michi eine Nachricht:Take my hand, take my whole life too
Und meinetwegen Vegas.
©HannaH Rau